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Jan Reichert ist CEO von kr3m in Karlsruhe. Die Agentur ist auf HTML5-Games und -Technologien für Konzerne und Medienunternehmenspezialisiert. Im Interview erklärt er, welche Veränderungen durch Games angestoßen werden können, warum sich KMUs nach wie vor schwer tun, sich für Gamification zu öffnen und warum jedes Spiel immer nur so nachhaltig ist, wie der Auftraggeber.
Jan, du bist von Hause aus Diplom-Volkswirt. Wie bist du dazu gekommen, das Thema Games zum Beruf zu machen?
Ich habe bereits mit sechs Jahren bei meinem Großvater programmieren gelernt. Er war Professor für Mathematik und hat damals die ersten Rechner für das KIT beschafft - das waren noch diese großen Zuse-Rechner. Von der Uni hatte er einen ersten Apple IIe gestellt bekommen. Mit zwölf habe ich dann meine ersten Computerspiele programmiert. Diese Leidenschaft hat sich gehalten und ich habe sie mit meinem Wirtschaftsstudium verknüpft, statt ganz traditionell als Volkswirt zu einer Bank oder in die Beratung zu gehen.
Eure Agentur kr3m gibt es bereits seit 1999. Wie hat sich das Interesse an Games im Laufe der Jahre entwickelt?
Im Marketing bedient man sich schon länger der Gamification. Beispielsweise haben wir, neben vielen Casual Games, 2004 die Ravensburger Kinderwelt entwickelt, ein großes Gamesportal. Das war auch die Zeit, in der Second Life groß im Rennen war, das ja im Grunde eine reine Marketingplattform war. 2010 wurde der Begriff Gamification dann verstärkt für Unternehmen interessant, die nach neuen, spielerischen Methoden gesucht haben, um Probleme zu lösen und Prozesse zu verändern.
Gamification ist ein Begriff, der oft im Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit von Unternehmen genannt wird. Kannst du ein Beispiel für ein Projekt nennen, bei dem durch den Einsatz von Games ein nachhaltiger Effekt erzielt wurde?
2014 haben wir für Daimler die Drivers League entwickelt. Eine Fahrsimulation für LKW-Fahrer, die auf Basis ihrer Fahrdaten andere herausfordern konnten. Es ging dabei aber nicht darum schnell, sondern gut, also verkehrssicher zu fahren. Das war natürlich sowieso die Vorgabe, aber das Spiel sollte fördern, dass die Fahrer für ihr eigenes Fahrverhalten und das ihrer Kollegen und Konkurrenten, die sich ebenfalls registrieren konnten, sensibilisiert werden. Das Spiel war damals sehr beliebt, weil es die intrinsische Motivation der Fahrer angesprochen hat, ihren Job gut machen zu wollen. Anders als das bisherige Feedback, bei dem man einen Denkzettel bekommen hatte, auf dem stand, „schlecht gefahren”, gab das Spiel die Möglichkeit, sich zu verbessern - und das ist natürlich ein ganz wichtiger, positiver Aspekt, den Gamification ermöglichen kann, gerade wenn es darum geht, schwierige Themen zu vermitteln und an seinem Verhalten etwas zu ändern.
Wodurch zeichnet sich ein gutes Spiel aus, wann hat man einen nachhaltigen Effekt?
Ein Game ist immer nur so nachhaltig wie sein Auftraggeber. Oftmals bekommen wir Briefings für Spielideen, die gar kein Spiel sind. Das Problem ist, wenn man einen Learning-Effekt erzielen möchte, dann gehen die meisten Auftraggeber sehr linear und sehr eindimensional vor. Das heißt sie geben einen bestimmten Ablauf und einen Outcome vor, welche Inhalte Schritt für Schritt mitgenommen werden sollen und am Ende hat der User dann etwas ganz bestimmtes verstanden. Das ist in der Regel aber kein Spiel, sondern ein Film. Das müssen wir dann aufbrechen und in eine Spielmechanik umwandeln. Denn es ist ganz wichtig, dass User in einem Game eigene Entscheidungen treffen - das schließt auch die Möglichkeit für Fehler ein. Aber genau darin liegt ja der Spaß am Spiel, es geht darum, dass der User die Möglichkeit hat, das Ergebnis selbst zu steuern.
Im Auftrag des Landes Baden-Württemberg habt ihr einen CO2-Rechner als Game entwickelt, das im Oktober veröffentlicht wird. Wie seid ihr hier vorgegangen?
Auch hier war das Briefing sehr linear. Der Ablauf war im Prinzip identisch wie bei allen anderen CO2 Rechnern, die es bereits gibt: Der User gibt zunächst seine Daten ein - woher er seine Lebensmittel bezieht, wie viel Auto er fährt usw. und am Ende spuckt die App dann den CO2 Fußabdruck als Bilanz aus und macht Vorschläge, wie man es besser machen kann. Wir haben dann erstmal andere CO2-Rechner, die nach eben diesem Muster gestrickt sind, analysiert. Dabei haben wir festgestellt, dass keiner mehr als 10.000+ Downloads im Google Playstore hat. Die meisten Game Apps, die einigermaßen erfolgreich sind, haben etwa 1 Million Downloads. Riesenerfolge wie Candy Crush knacken sogar die Milliarde. Warum also diese geringen Downloadzahlen bei den CO2-Spar-Apps? Uns war klar, wir können nicht das gleiche nochmal machen, wenn absehbar ist, dass wir mit diesem Prinzip die Menschen nicht erreichen.
Was habt ihr anders gemacht?
Das Problem mit den bekannten CO2-Rechnern ist, dass ich mich eigentlich laufend selbst bestrafen muss: weniger Autofahren, weniger Fleisch essen, mehr Fahrrad, weniger Urlaubsflüge etc. Das ist auf Dauer natürlich sehr einseitig. Wir haben also nach einem persönlichen Zugang gesucht und für den neuen CO2 Rechner einen Gamification-Ansatz gewählt: Viele kennen sicher noch Tamagotchia- auch unser Charakter funktioniert wie ein virtuelles Haustier: ein kleiner Waldkauz, der hier in Baden-Württemberg heimisch, aber leider vom Klimawandel bedroht ist. Zunächst wird auch in unserer App der individuelle CO2-Fußabdruck ermittelt. Danach kommt der Waldkauz ins Spiel, um den ich mich täglich kümmern muss, indem ich ihm Futter und Pflege zukommen lasse. An genug Futter komme ich aber nur, wenn ich im echten Leben wie auch im Spiel dran bleibe und den CO2 Rechner mit guten Werten füttere und regelmäßig Missionen erfülle, für die ich dann in der App neue Features für den Kauz freischalten kann. Wenn ich also möchte, dass es meinem Waldkauz gut geht, dann habe ich natürlich ein anderes Bestreben, den Rechner mit guten Werten zu füllen, als wenn es nur darum geht mir sagen zu lassen, ob ich heute viel oder wenig CO2 verbraucht habe.
Warum tun sich KMUs oftmals schwer, Gamification-Projekte in ihrem Unternehmen zu etablieren?
KMU ist ein sehr weit gefasster Begriff. Man kann hier sicher nicht alle über einen Kamm scheren, jedoch kann ich aus Erfahrung sagen, dass es einen Unterschied zwischen Großunternehmen und Konzernen auf der einen Seite und KMUs auf der anderen Seite gibt. Gamification bedeutet ja immer ein Prozess und fängt eigentlich schon bei der Sichtbarmachung von Themen und Problematiken an, geht über gutes User Experience Design und möglicherweise die Integration von Games. Erfahrungsgemäß ist es eher selten, dass ein KMU die nötige Million in die Hand nimmt, so viel kostet das im Schnitt, wenn man es richtig machen möchte, um diesen Prozess anzustoßen und nachhaltig im Unternehmen einen Change zu bewirken. Für KMUs ist es oftmals aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu riskant bestehende Strukturen umzustoßen und etwas Neues auszuprobieren. Bei Großunternehmen ist das anders. Diese sind es gewohnt, und können es sich leisten, in Testumgebungen zu arbeiten. Ausnahmen gibt es bei KMUs im Schulungsbereich und wenn es um Sicherheitsaspekte im Lager oder ähnliches geht, da kommen immer mal kleinere Projekte zustande.
Bedeutet Gamification denn ein unternehmerisches Risiko einzugehen?
In Gamification zu investieren bedeutet, den Atem - und auch das Geld - zu haben, um unterschiedliche Dinge auszuprobieren, bis man Logiken gefunden hat, die greifen. Man investiert nicht in einen Versuch und es klappt oder eben nicht. Man investiert auch nicht in eine Aktie oder in ein einziges Startup und hofft, dass es schon wird. Man braucht eine spielerische Herangehensweise und muss interpretieren können, was wann wie greift. Mein Eindruck ist, dass bei KMUs Innovationen mit Investments in die Entwicklung oder den Kauf neuer Technologien verstanden wird. Das ist quasi Standard. Bei Gamification muss man aber bei den Menschen und den Prozessen anfangen. Ich denke, hier haben KMUs noch viel Potenzial - das Gute ist, man kann Gamification auch sehr gut themenbezogen einsetzen und einzelne Projekte realisieren.
Das Interview führte Rebecca Raab